Stadtgeschichte
Die heutige Stadt Erwitte darf mit ihren fünfzehn Ortsteilen auf eine interessante und wechselvolle Geschichte zurückblicken, die durchaus als Beispiel für historische Grundströmungen im westfälischen Raum herangezogen werden kann. Noch nicht abgeschlossen sind die Untersuchungen am Steinkistengrab in Völlinghausen, die Aufschlüsse über die Besiedelung des Hellweg-Raumes in der jüngeren Steinzeit geben können. Ein ähnliches Grab hat man in Schmerlecke gefunden. Diese archäologischen Zeugnisse weisen darauf hin, daß im Hellweg-Raum rund um Erwitte schon früh Menschen lebten und hier den Schritt vom nomadisierenden Jäger und Sammler zum seßhaften Bauern machten. Mit dem Einsetzen einer schriftlichen Überlieferung zur Zeit der Franken und Sachsen begegnet Erwitte dem an der Geschichte Interessierten in ständig wachsender Dichte.
Eine besondere Rolle spielt dabei der fränkische Königshof in Erwitte, dessen Gründung auf Karl den Großen zurückgeführt wird. Königshöfe wie der in Erwitte dienten überwiegend als Station und Versorgungsbasis für die fränkischen und sächsischen Könige und Kaiser. Leider ist das Wissen um die Blütezeit der "curtis regis Arvita" nur begrenzt. Urkunden, die in Erwitte vollzogen worden sind, treffen keine Aussagen über ihren Ausstellungsort; die archäologische Untersuchung des Königshofgebietes mußte wegen des Ausbruches des zweiten Weltkrieges unterbrochen werden, eine mögliche Weiterführung der Grabungen unterblieb und wurde 1968 durch den Neubau des Rathauses unmöglich gemacht.
Ausführlich kann aber die Zeit ab 1027 beschrieben werden, als am 7. April Kaiser Konrad II. in Rom den Königshof Erwitte der Paderborner Kirche übergab.
Heute erinnert ein repräsentativer Fachwerkbau aus dem 16. Jahrhundert an den Königshof Erwitte.
Mit der Besitzübertragung wurde der Paderborner Bischof bedeutender Grundherr im Erwitter Raum. Daraus resultierte ein Konflikt, der über Jahrhunderte ein wesentliches Merkmal Erwitter Geschichte werden sollte und auf den weiter unten einzugehen sein wird.
Die kirchliche Organisation des Mittelalters vollzog sich rund um die beiden Pfarreien von St. Laurentius in Erwitte und St. Cyriakus in Horn. Noch heute sind die Kirchtürme beider Gotteshäuser optischer Mittelpunkt und herausragende Beispiele sakraler Baukunst.
Diesen Pfarreien waren die Dörfer, die noch heute im Zusammenschluß die Stadt Erwitte bilden, als Kirchspieldörfer mit eigener Kapelle als Gotteshaus zugeordnet. Nur Westernkotten konnte sich nach langen Versuchen von der Mutterpfarrei Erwitte lösen und Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts eine eigene Pfarrei bilden. Die evangelische Kirchengemeinde entstand erst im letzten Jahrhundert, nachdem Erwitte preußisch geworden war.
Der Raum Erwitte gehörte politisch ab dem Spätmittelalter zum Herzogtum Westfalen, das wiederum dem Erzbischof von Köln als Landesherr unterstellt war. Hier wird der schon genannte Konflikt deutlich: Sowohl der Erzbischof von Köln als Landesherr als auch der Paderborner Bischof als bedeutender Grundherr versuchten, die ihnen zustehenden Rechte über Erwitte bis an die Grenze auszufüllen und diese zu erweitern. Die daraus resultierenden Streitigkeiten zogen sich wie ein roter Faden durch die Erwitter Geschichte und wurden wiederholt vor dem Reichskammergericht ausgetragen, ohne daß es über Jahrhunderte zu befriedigenden Regelungen zwischen den Kontrahenten gekommen wäre. Möglicherweise ist in diesem Dauerstreit eine der Ursachen dafür zu suchen, daß Erwitte trotz vieler vorhandener Voraussetzungen nicht im Mittelalter zu einem städtischen Gemeinwesen wurde und diese Form der Selbständigkeit erst im Jahre 1936 verliehen bekam.
Die Einrichtung des Gogerichts Erwitte ist verwaltungs- wie landesgeschichtlich von herausragender Bedeutung. Das Gogericht Erwitte als Gerichtsbezirk und Verwaltungsgebiet umfaßte zeitweilig mehr als einhundert Orte im Herzogtum Westfalen. Nicht ohne lokalpatriotisches Augenzwinkern kann darauf verwiesen werden, daß zeitweise selbst das viel größere benachbarte Lippstadt diesem Gogericht zugewiesen war. Augenfällig wird die Bedeutung des Gogerichtes durch das sogenannte Alte Rathaus am Erwitter Marktplatz. Dieser Bau war als Gerichtsgebäude für das Gogericht 1716 errichtet worden. Das Wappen über der Eingangstür weist auf die kurkölnischen Landesherren hin. Das Gebäude selbst wurde anteilig von allen zum Gogericht gehörenden Ortschaften durch eine mehrfach erhobene Sondersteuer bezahlt. Hier symbolisiert ein Bauwerk die historische Zusammengehörigkeit einer Region, die nach 1975 durch die kommunale Neuordnung erneut zu einer Einheit wurde.
Bedeutung für die Geschichte der Stadt erlangten eine Reihe von westfälischen Adelsgeschlechtern, die in Erwitte ansässig waren. Die Herren von Erwitte, die Familien von Landsberg und von Droste sind ebenso zu nennen wie die Fürstenberger in Stirpe, die Bredenoll und von Ense in Westernkotten, die Knappen von Völlinghausen und die von Wrede zu Mielinghausen (=Millinghausen). Aus dieser unvollständigen Auflistung erkennt man, wie vielfältig der Grundbesitz im Erwitter Hellweg-Raum allein unter den Adeligen aufgeteilt war. Die vielen kirchlichen Grundherren wie die Klöster Benninghausen und Meschede treten noch hinzu. Somit bietet Erwitte ein Beispiel für den mittelalterlich geprägten Streubesitz an Grund und Boden, der für eine Agrarlandschaft wie die Hellweg-Börde kennzeichnend ist.
Neben der intensiven Landwirtschaft gab es vom historischen Standpunkt aus nur einen nennenswerten Wirtschaftszweig: Die Salzgewinnung in Westernkotten. Salz war eines der wichtigsten Wirtschaftsgüter des Mittelalters und der Neuzeit und so wuchs die Bedeutung Westernkottens rasch. Heute lohnt sich die Salzgewinnung nicht mehr, aber die Erkenntnis, daß Salzsole zu Heilzwecken verwandt werden kann, gab dem Dorf Westernkotten einen neuen Aufschwung und ein ganz eigenständiges Gepräge. Seit 1958 darf Westernkotten den Zusatz Bad führen.
Doch auch in den übrigen Orten Erwittes ist der wirtschaftliche Fortschritt zu spüren. In das Auge fallende Beipiele sind die Zementwerke im Süden der Stadt und das Zentrallager der Hella. Die ehedem bedeutende Zigarrenproduktion ist heute aus dem wirtschaftlichen Leben verschwunden.
In allen Ortsteilen der Stadt Erwitte (Bad Westernkotten, Berenbrock, Böckum, Ebbinghausen, Eikeloh, Erwitte, Horn-Millinghausen, Merklinghausen-Wiggeringhausen, Norddorf, Schallern, Schmerlecke, Seringhausen, Stirpe, Völlinghausen und Weckinghausen) finden sich noch denkmalgeschützte Bauwerke, die das Bild des jeweiligen Ortes entscheidend prägen.
Natürlich herrscht der Fachwerkbau vor, aber auch Wohn- und Bauernhäuser aus Bruch- und Backstein, verputzte Gebäude und technische Baudenkmale wie die Mühle in Schmerlecke und der Wasserturm in Eikeloh tragen positiv zum Erscheinungsbild bei. Besonders reizvoll ist, daß man schnell von den Wohngebieten in die Bördelandschaft kommt. Aufmerksamkeit verdient das Naherholungsgebiet Pöppelsche. Wichtig für Besucher der Stadt wie für den Neubürger, der sich mit seiner neuen Heimat vertraut machen will, bleibt der Rat, sein Auto abzustellen und sich zu Fuß aufzumachen, um, durch kleine Gassen kommend, Eindrücke von Erwitte zu gewinnen, die dem Durchfahrenden verstellt bleiben.