Ehrenmäler in Erwitte und Umgebung
„Denkmäler können nur zu denken geben, wenn ihre Bedeutung und Geschichte diskutiert und neu interpretiert werden kann.“
(T. Macho, Kulturwissenschaftler und Philosoph)
Ein Denkmal ist schnell abgerissen, eine Statue schnell gestürzt. In den letzten Jahren fanden international Debatten um Denkmäler statt. So wurde beispielsweise im Juni 2020 das Denkmal des Sklavenhändlers Edward Colston in der britischen Stadt Bristol im Zuge einer Demonstration der Black-Lives-Matter-Bewegung vom Sockel gestürzt und im Hafenbecken der Stadt versenkt. In den USA finden seit Jahren Diskussionen statt, ob Statuen des Südstaatengenerals Robert Lee entfernt werden sollten.
Auch in Deutschland wird darüber diskutiert, wie mit Kriegerdenkmälern umgegangen werden soll. Wie sollte der im Krieg gefallenen Soldaten im heutigen Deutschland erinnert werden? Oder sollten stattdessen die Opfer des Krieges betrauert werden? Oder ist der Abriss der Denkmäler, die heutzutage kritisch hinterfragt werden (sollten), die Antwort auf die Frage des „richtigen“ Erinnerns?
Schulprojekt
Im Rahmen des Geschichtsunterrichts setzten sich die Schülerinnen und Schüler der Q1 (Jahrgangsstufe 11) im Schuljahr 2022/23 vom Städtischen Gymnasium Erwitte mit dieser Frage auseinander.
In Zusammenarbeit mit dem Heimatverein Erwitte e.V. besichtigten die Schülerinnen und Schüler das Denkmal und setzten sich mit seiner Geschichte auseinander. Schnell wurde deutlich, dass eine Heldenverehrung, wie sie zu Beginn des 20. Jahrhunderts durch Kriegerdenkmäler stattfand, im 21. Jahrhundert nicht die geeignete Form der Erinnerung darstellt. Auch die Symbole, die sich auf dem Denkmal befinden, müssen in einen Kontext gerückt und im Rahmen der Entstehung des Denkmals und auch aus heutiger Perspektive beurteilt werden.
Das Kriegerdenkmal wurde Anfang des 20. Jahrhunderts durch den Krieger- und Landwehrverein in Auftrag gegeben, um die gefallenen Soldaten der Reichseinigungskriege 1866 und 1870/71 zu ehren und ihrer zu gedenken. Gefertigt wurde das Denkmal durch den Bildhauer Albert Pehle (*1874 in Lippstadt, † 1948 in Düsseldorf), der auch das Denkmal zu Ehren Bernhard II. zur Lippe („Bernhardbrunnen“) in Lippstadt gestaltete. Die Finanzierung ermöglichte ein durch den Krieger- und Landwehrverein gestalteter Basar am 01. und 02. Juli 1906.
Einweihung
Ursprünglich wurde das Denkmal auf dem Marktplatz errichtet und im Jahr 1907 eingeweiht.
Nach dem Ersten Weltkrieg wurden die Namen der gefallenen Soldaten dieses Krieges ergänzt.
Volkstrauertag
Am Volkstrauertag und während des Schützenfests fanden regelmäßig Kranzniederlegungen im Gedenken an die gefallenen Soldaten statt.
Im Zuge des Neubaus des Erwitter Rathauses wurde das Denkmal schließlich in den 1960er Jahren an seinen heutigen Standort versetzt.
Eine Restauration erfolgte durch den Heimatverein Erwitte e.V. im Jahre 2022. Während der Restauration kam es in der Lokalpresse zur Diskussion darüber, wie „richtiges“ Gedenken heute aussehen sollte.
Den Opfern von Kriegen, Verfolgung und Terror wird jährlich am Volkstrauertag am Bronzedenkmal auf dem Marktplatz gedacht, das 1967 eingeweiht wurde.
Intention
Mit dem Kriegerdenkmal rücken die gefallenen Soldaten in den Mittelpunkt. Verbunden mit ihrem Tod war im 19. und beginnenden 20. Jahrhundert war auch immer die Heldenverehrung zu sehen.
Der Krieg und damit verbunden auch der Tod der Soldaten wurde glorifiziert. Dies wurde auch zu verschiedenen Gedenkfeiern – Sedantag, Volkstrauertag – deutlich, wobei die Intention dieser Gedenktage unterschiedlich war.
So wurde beim Volkstrauertag der gefallenen Soldaten gedacht. Beim Sedantag, der Anfang September gefeiert wurde, wurde an die Kapitulation der französischen Truppen bei der französischen Stadt Sedan erinnert, die den entscheidenden Sieg der deutschen Armee im Deutsch-Französischen Krieg 1870/71 darstellt.
Planung
Im März 1965 beschloss die Stadt Erwitte, auf Vorschlag des Bauausschusses, zum einen die Versetzung des Kriegerdenkmals von 1907. In Zusammenarbeit mit dem Kriegerverein sollte der genaue Standort festgelegt werden. Im Bereich des Amtshauses (heute Rathaus) sollte die Verwaltung zusammen mit dem Amt für Baupflege beim Landschaftsverband Westfalen-Lippe den Vorschlag für ein neues Ehrenmal ausarbeiten.
Im Dezember 1965 wurde schließlich durch die Stadtverwaltung beschlossen, ein Mahnmal in Bronze in Auftrag zu geben. Die Kosten wurden auf bis zu 50.000,-- DM festgelegt. Es wurde davon abgesehen, einen Wettbewerb durchzuführen; statt dessen sollte ein Ausschuss gewählt werden, der sich die Arbeiten verschiedener Künstler anschauen und deren Ateliers besichtigen sollte, um dann einen Künstler vorzuschlagen. In der Ratssitzung im März 1966 wurde dann auf Vorschlag des Mahnmalausschusses einstimmig beschlossen, die Bildhauerin Hilde Schürk-Frisch aus Münster mit der Ausarbeitung eines Vorschlags für die Errichtung des Mahnmals zu beauftragen.
Künstlerische Gestaltung
Frau Schürk-Frisch stelle dann in der Ratssitzung im August 1966 ihr Modell vor und erläuterte die Einzelheiten der geplanten Skulptur. Die Bronzeplastik sollte 3,50m hoch und ca. 2,50m breit sein und auf einem Steinblockfundament aufgestellt werden.
Auf der Vorderseite des Denkmals sind verschiedene Verse zu lesen.
„Wenn doch auch du erkennest in diesen deinen Tagen, was zum Frieden dient – lösen wirst Du, Herr, das Kleid meiner Trauer und mit Freude wirst Du mich gürten, erschüttert hast Du das Land, es ist gespalten, heile Herr seine Risse, denn es wankt.“
Einweihung
Am Volkstrauertag des Jahres 1967 (19. November) wurde das Mahnmal schließlich eingeweiht. An dieser Veranstaltung nahmen neben der Bevölkerung Erwittes auch die Fahnenabordnungen der Vereine, zwei Ehrenzüge der Bundeswehr sowie die Freiwillige Feuerwehr und die Vertreter der katholischen und evangelischen Kirchengemeinden teil. Der damalige Bürgermeister Postert fasste die Intention des Mahnmals in seiner Rede zusammen und wies dabei darauf hin, dass die Kriegstoten den Lebenden ein Vermächtnis gesetzt hätten, welches nun durch das Ehrenmal sichtbar bleiben solle. „Das Ehren- und Mahnmal solle den Dank denen abstatten, die ihr Leben opferten." Es stände hier stellvertretend für viele Grabkreuze auf den weiten Schlachtfeldern. Das Mal solle ferner eine Stätte der Begegnung werden. Hier werde man das Vermächtnis wahren und die Verpflichtung setzen, dass ihr Tod nicht umsonst war. Im Streben nach Frieden sei es eine sinnvolle Ehrung. „Und wo kann ein solches Denkmal einen besseren Platz haben als mitten in der Stadt“ (Zitat aus dem Artikel aus dem Patriot anlässlich des Volkstrauertags 1967).
Seit 1967 wird jährlich der gefallenen Soldatinnen und Soldaten, aber auch der zivilen Opfer der Kriege, im Rahmen des Volkstrauertages gedacht. Auch Schülerinnen und Schüler des Städtischen Gymnasiums Erwitte tragen jährlich etwas zu dieser Veranstaltung bei.
Denkmäler sind eine wichtige historische Quelle und ermöglichen es, Ereignissen und Personen zu gedenken. Dabei legen Denkmäler zudem die Bewertung dieser Personen und Ereignisse zur Zeit der Errichtung des Denkmals aber auch in späterer Zeit offen.
Seit dem 19. Jahrhundert fand ein Wandel in der Erinnerungskultur statt: Neben Fürsten und Herrschern wurden auch Denkmäler für bürgerliche Vorbilder wie Schiller, Goethe oder Luther errichtet. Mit den Reichseinigungskriegen (1863-1870) kam dann die Darstellung der einfachen Soldaten als Helden hinzu. Diese Denkmäler dienten nicht nur dem Erinnern an das Leid und das Sterben der zumeist jungen Soldaten, sondern sie instrumentalisierten sie als Helden, die ihr Leben für die Nation geopfert hatten, um so den neuen Nationalstaat aufzuwerten.
Die Aussage – „Es starben den Heldentod fürs Vaterland“ – wird auch durch die auf dem Erwitter Denkmal verwendete Symbolik unterstrichen. Im Gegensatz zu anderen Denkmälern des 19. Jahrhunderts ist auf dem Erwitter Kriegerdenkmal das Schwert gesenkt, und die Fahne weht nicht im Wind. Das zeigt, dass der Krieg beendet ist und nun die Zeit der Trauer und des Gedenkens gekommen war.
Die Schrecken der Kriege blendet das Denkmal aus. Das Leid, das sie über die Soldaten und ihre Familien brachten, bleibt in Wort und bildlicher Darstellung unsichtbar. Der Tod der Soldaten wird als ruhmreiches „Sterben für Volk und Vaterland“ dargestellt, um über die Zustimmung der Betrachter zu dieser Sichtweise auch eine Zustimmung für den Staat zu erreichen.
Ein grundlegender Wandel in der Erinnerungskultur fand dann nach der militärischen und moralischen Katastrophe des Zweiten Weltkrieges statt. Kriegerdenkmäler sollten im demokratischen Deutschland nicht als Aufruf zum Krieg und zur Nacheiferung verstanden werden, sondern eher als Mahnmal. Sie sollten die Erinnerung an die sinnlos Gefallenen wachhalten und die geschichtliche Aufarbeitung fördern – im Idealfall können nachfolgende Generationen aus der Geschichte und den Fehlern der Vergangenheit lernen.
So soll es auch hier am Kriegerdenkmal möglich sein, sich kritisch mit den Kriegen in der deutschen Geschichte auseinanderzusetzen, aber gleichzeitig auch, den gefallenen Soldaten und allen weiteren Opfern der Kriege zu gedenken. Um dem gerecht zu werden, wurde das Denkmal im Jahre 2023 um einen Gedenkstein ergänzt.
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